„Hä? Gemeinschaft? Was ist das, wofür brauche ich das, interessiert mich nicht.“
Das wäre keine unwahrscheinliche Reaktion, wenn ich irgendwem erklären würde, dass wir um Gemeinschaft nicht herumkommen. Wer nicht selbst schon ein paar Schritte gegangen ist und festgestellt hat, dass wir als Bewohner*innen dieses Planeten immense Probleme vor uns haben, die fast alle immer schlimmer werden, dem/der brauche ich von Gemeinschaft sowieso nichts zu erzählen.
Als ich meine 12 Tage in Berlin verbracht habe, konnte ich schon den Eindruck gewinnen, dass es viele Leute gibt, die diese Schritte nicht getan haben. Die weiter den Schein wahren wollen und ihr Telefon liebkosen, als gäbe es diese Probleme nicht (das hat mich dann darüber nachdenken lassen, bis wie lange man eigentlich einfach nur Mitläufer ist und ab wann man als Kollaborateur gilt – Posting dazu folgt).
Die Leute, die nicht die Augen verschließen und generell anerkennen, dass wirtschaftlich, politisch und sozial verdammt vieles in die völlig falsche Richtung läuft, finden trotzdem nicht unbedingt einleuchtend, dass „Gemeinschaft“ was mit der Lösung zu tun haben könnte. Was nützt „Gemeinschaft“ gegen Klimawandel, Hunger in der Welt und islamistischen Terrorismus? Sind da nicht vielmehr Aktionen gegen industrielle Interessen nötig, eine politisch informierte und selbstbewusste Bevölkerung, global faire Gesetze, Bildung und so weiter?
Während meiner Zeit in Berlin konnte ich den neuen Film der Yes Men (“The Yes Men are Revolting“) gucken und genießen, und bei denen geht es ja stets darum, möglichst tolle (lustige und wirksame) Aktionen zu inszenieren, insbesondere gegen skrupellose Unternehmen, um die öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen und evtl. sogar eine entsprechend veränderte Gesetzgebung. Ziel der Aktionen sind vor allem Unternehmen, die den Klimawandel weiter anheizen, anstatt nötige Konsequenzen wie eine Verringerung der Emmissionen anzustreben. In einem intimen Moment reflektieren die beiden Yes Men Andy und Mike dann mal über ihre Aktionen und Andy sinniert, dass es eigentlich eine Veränderung der Kultur bräuchte statt all der Aktionen, um der Gesellschaft wirklich eine andere Richtung zu geben. Das war und ist genau mein Stichwort: Ich glaube, an dieser anderen Kultur müssen wir arbeiten. An einer Kultur, in der wir uns als einzelne nicht mehr so leicht für den falschen Schritt entscheiden – vor allem als einzelne Verbraucher. Denn letztlich entscheiden die Milliarden „Verbraucher“ darüber, was die Industrie tut. Das ist ökologisch wahrscheinlich noch wesentlich entscheidender als die Tatsache, dass wir Milliarden Erdenbewohner*innen auch politisch dafür verantwortlich sind, wer regieren darf oder wen wir regieren lassen, was mit den anderen Problemen zu tun hat, die nicht vordergründig die Industrie zu verantworten hat.
Also, neue Kultur. Da spreche ich dann von gemeinschaftlicher Lebensweise. Ich meine einen Lebensstil von „kooperativem Miteinander“. Eine „Kultur, in der wir uns als einzelne nicht mehr so leicht für den falschen Schritt entscheiden“. Es geht darum, dass ich meine Handlungen ganz direkt mit anderen Menschen abgleiche. Ich bin zwar frei, Entscheidungen zu fällen, die nur mich alleine betreffen, aber ich erkläre mich damit einverstanden, weitergehende Entscheidungen mit meinen Nachbarn oder Mitbewohner*innen oder Freunden zusammen zu treffen – mit denen Menschen, mit denen ich Gemeinschaft lebe.
Ich weiß nicht, ob ich soeben eine klassische Definition von Gemeinschaft geliefert habe, aber das könnte jedenfalls der Mechanismus sein, mit dem die Welt nicht mehr schlechter wird, sondern besser. Indem Menschen nicht mehr uninformierte (a) oder manipulierte (b) oder alternativlose (c) Entscheidungen treffen, die zu weiteren globalen Schäden führen:
- Zum Beispiel sind Menschen innerhalb ihrer Gemeinschaft darüber im Austausch und entsprechend informiert darüber, welches Produkt auf annehmbare oder eben auf nicht akzeptable Weise hergestellt wird. Innerhalb der Gemeinschaft, in der ich lebe, ist beispielsweise einigermaßen bekannt, was von verschiedenen Elektronikprodukten und –Herstellern zu halten ist, was es mit Glüh-, Eneriespar- und LED-Lampen auf sich hat, dass neue Handys mit Rohstoffen hergestellt werden, mit denen Kriege finanziert werden.
- Die Werbung, die mir in Berlin auf Schritt und Tritt begegnet, ist natürlich psychologisch wirksam – das ist kein Geheimnis, sonst würden Unternehmen wohl kaum Milliarden dafür bezahlen. Wer sich zwischen Werbebotschaften bewegt, ohne, dass diese Botschaften mit anderen menschen besprochen und entlarvt werden, wird einigen davon nachgeben, obwohl er oder sie selbst nicht auf die Idee gekommen wäre, sich dies oder jenes zu kaufen.
- In Gemeinschaft kann getauscht, geliehen, weiterverkauft werden. In Gemeinschaft entsteht Kultur, die nichts kostet. Gemeinschaft bietet viele fesselnde Herausforderungen, die einer guten Sache dienen und sie weiterentwickeln (verglichen mit zum beispiel teuren Hobbys, die ich in Gemeinschaft eher selten erlebe). Gemeinschaft macht unabhängig (z.B. haben wir unsere eigenen Holzheizungen und unser eigenes Brennholz aus dem eigenen Wald). Gemeinschaft ist ein Umfeld, in dem Bedürfnisse neu erlebt werden und in dem viele Bedürfnisse gar nicht auftauchen, die zu schädlichen Entscheidungen führen. Wie froh bin ich zum Beispiel darüber, dass ich in meiner Gemeinschaft weniger Geld ausgebe als in der Stadt, deswegen weniger Geld brauche, deswegen Arbeiten vor Ort machen kann, die nicht allzu gut bezahlt sind, aber Spaß machen und ohne Mobbing und Stress auskommen – ich muss nirgendwohin pendeln. Ich brauche keine Ferienreisen per Flugzeug, weil ich weiß, was ich zu Hause machen will, wenn ich mal nicht arbeite.
Das sind also ganz interessante Perspektiven, die ein kooperatives Miteinander bietet. Und wie sieht das in der Praxis aus? (nächstes Posting dazu folgt…)
Für mich ist Gemeinschaft wirklich wichtig! Meine Gemeinschaft besteht seit 1998, begann aber schon als Vision 1987. Es gab eine lange Entwicklung- und Planungsphase, in der Menschen kamen und gingen, Ideen entstanden, zum Teil wieder verworfen wurden. Wir haben viel ausprobiert, Regeln aufgestellt, wieder verworfen und eine Form des Miteinanders in Freiheit entwickelt, die für uns stimmig ist und funktioniert. Dazu gehört es möglichst ehrlich miteinander zu sein, die Beziehungen zu klären, die Andersartigkeit des Anderen anzuerkennen und zu schätzen, Bewertungen somit immer wieder loszulassen, Liebe, Respekt, Vertrauen, Dankbarkeit und Zuversicht und Vergebung zu erlauben, und das alles auf der Basis einer offenen Kommunikation. Ich lebe und liebe Gemeinschaft, als Lebensform, als Chor, Gartengemeinschaft u.a., genauso wie meine Individualität, mit allein sein, Rückzug, mit Partner und Familie sein.
Ich liebe meine Freiheit und Selbstbestimmung,
und in meiner Gemeinschaft ringen wir bei allen Entscheidungen um Konsensbildung, was natürlich nicht immer 100% gelingt
An dem vorangestellten Text habe ich Schwierigkeiten mit den Bewertungen. Für mich taucht zu viel falsch, richtig, gut, schlecht auf.
In Gemeinschaft leben ist für mich noch immer die Lebensform der Zukunft. Ich wünsche vielen Menschen den Mut, die Hoffnung und die Ausdauer ihre persönliche Form zu entwickeln und umzusetzen.
Marita
Hallo Michael,
mal kritisch nachgefragt, ist Punkt a nicht eine Weiterentwicklung von „Was solln die Nachbarn sagen“? Also eine Moralkeule wenn ich mich für „das Falsche“ entscheide?
lg,
Markus
Lieber Micha,
für mich ist „Gemeinschaft“ aber auch viel mehr, als in Gemeinschaft leben. Und es ist wichtig, um die Welt zu verändern, weil das, was die Welt verändert, fast immer gemeinschaftliche Initiativen sind.
Wie Margret Mead mal sagte: „Never doubt that a small, commited group of citizens can change the world. Indeed it is the only thing that ever has changed the world.“
Auch Menschen, die gemeinsam eine Initiative anschieben, ob es ein Nachbarschaftsgarten, eine Bürgerinitiative, eine freie Schule, eine Bürgerenergiegenossenschaft ode was auch immer ist, sind für mich „Gemeinschaft“.
Und wenn dort „Gemeinschaft“ funktioniert, dann hat die Initiative eine ungeheure Kraft … wenn nicht, dann versandet sie nach und nach.
Und ich würde es nicht so definieren, dass Gemeinschaft nur dann Gemeinschaft ist, wenn ich mich damit “ einverstanden erkläre, weitergehende Entscheidungen mit meinen Nachbarn oder Mitbewohner*innen oder Freunden zusammen zu treffen – mit denen Menschen, mit denen ich Gemeinschaft lebe.“ Ehrlich gesagt, wünsche ich mir Gemeinschaft, wo die Menschen sehr frei sind, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.
Für mich bedeutet Gemeinschaft, sich immer wieder als Menschen zu sehen, und immer wieder bewusst auf die Verbundenheit zwischen den Menschen zu schauen, und aktiv an dem Miteinander zu arbeiten. Sich von Konflikten und Mißstimmungen nicht zu einem Urteil hinreißen lassen, dass der / die Andere doof ist, sondern zu erkennen, dass ich da eine interessante andere Spielart des Menschseins sehe, von der ich etwas lernen kann, weil sie anders ist als ich.
Ich finde es nicht gut, wenn Du Gemeinschaft darauf reduzierst, dass man sich da gegenseitig einschränken darf / muss oder gemeinsam besonders ökologisch ist.
Eva