Das Thema gut – nachhaltig – naturnah – selbstbestimmt leben beschäftigt viele Leute: Das ist natürlich eine gute Nachricht. Dass es trotzdem nur so ein Randthema zu bleiben scheint, ist weniger schön. Eine richtige Bewegung mit mitreißender Strömung ist es, befürchte ich, noch nicht geworden, auch wenn entsprechende Artikel gerne mit einem „Immer mehr Menschen wollen … (so leben)“ beginnen. Was fehlt? Ich weiß es nicht. Mir fällt immerhin auf, dass das Kind viele verschiedene Namen hat und dass die Grenzen zwischen den vermeintlich unterschiedlichen Disziplinen nicht so offen sind, wie sie sein könnten. Zum Beispiel rede ich hier immer von „Gemeinschaft“. Im Beitrag Ist Gemeinschaft wichtig? habe ich es immerhin schon mal auf den Begriff „Kooperatives Miteinander“ heruntergebrochen. Andere Begriffe, an denen auch gleich wieder andere Schulen und Szenen hängen, sind Kommune, Wohnprojekt, Ökosiedlung… Oder, ganz neu, „Neue Dörfer“.
Ich kenne diesen Begriff von Texten und einem Video des Hamburger Professors Ralf Otterpohl. Auf https://www.youtube.com/watch?v=_M0J2u9BrbU erklärt er sehr einfach seine Vision von modernem Landleben. Er erläutert nachvollziehbar, dass die Lebensqualität auf dem Dorf unter gewissen Voraussetzungen viel höher ist als die in der Stadt – und vakanten Platz auf dem Land gibt es immer mehr (Urbanisierung weltweit). So weit, so gut – sag ich ja auch. Was mich aber stutzig macht – und da habe ich dann das Gefühl, jemand fängt wieder ganz von vorne an, anstatt sich bei denen zu informieren, die das mit viel Aufwand und auch einer guten Dosis Verstand seit Jahren probieren – sind folgende Aussagen aus dem Video:
- Dass mensch für 25.000 Euro ein vernünftiges Niedrigenergiehaus bauen könnte…
- und mit einem Drittel-Arbeitstag sich selbst plus 50 weitere Menschen versorgen könnte…
Herr Otterpohl erwähnt ja auch, dass er glaubt, zu hohe Anforderungen an Gemeinschaft könnten eine erfolgreiche Umsetzung derselben verhindern. Die Wichtigkeit von ‚innerem Wachstum‘ und guten sozialen Beziehungen erkennst er aber an. Somit sind wir durchaus auf einer ähnlichen Linie. Dass (enge) Gemeinschaft noch zu schwierig ist werde ich ja nicht müde zu erzählen, ich freue mich über alle Ideen, eine gemeinschaftlichere Kultur attraktiver zu machen (ohne sie dabei zu kompromittieren, wie es mit Bio-Lebensmitteln, Independent Music oder Second-Hand-Klamotten passiert ist…).
Über die oben kritisierten Punkte habe ich mich also auch beim Verfasser beschwert:
Was ich jetzt gerne noch erläutert haben würde, sind deine oben genannten Rechenbeispiele. Nimm mal Sieben Linden – das erfüllt doch viele der Bedingungen, die du an die neuen Dörfer stellst. Erkläre uns doch mal am praktischen Beispiel, wie wir das jetzt anstellen sollen. Ich kann dir dann auch gerne am praktischen Beispiel erklären, warum was nicht funktioniert. Dieser von dir genannte effektive Drittel-Arbeitstag steht zum Beispiel völlig unerläutert im Raum. Wir haben durch gravierende personelle Veränderungen gerade eine völlig offene Gartenzukunft. Da könntest du uns gern mal einen Vorschlag machen, wie wir ökologisch viele Lebensmittel mit ganz wenig Arbeit erzeugen könnten…
Und mit den Häusern: Wir zerbrechen uns hier wirklich die Köpfe, wie wir billig bauen können. Baugäste verursachen mehr Anleitungskosten als sie sparen; selbst bauen braucht Zeit, die zum Geld verdienen fehlt; Know How ist ganz willkürlich verteilt und passt viel zu oft nicht zum zeitlichen Bedarf danach…
Unsere Häuser werden trotz aller Bemühungen immer teurer und wir haben ausgerechnet, dass Wohnraum in Sieben Linden pro Nase etwa 50.000 Euro kostet. Und das trotz einer Beschränkung der bebauten Grundfläche auf 16 qm pro Nase. Man könnte doch sagen, dass Sieben Linden der Beweis dafür ist, dass deine Berechnungen nicht richtig sind…? SCHADE!
Oder was meinst du?
…und darauf eine widerum interessante Mail erhalten (die ich veröffentlichen darf):
Danke für die Gedanken zu den Vorschlägen im Paper. Einiges ist durch den Artikel selber beantwortet (möglicherweise ist dieser Artikel gemeint: http://www.oya-online.de/article/read/872-barfusshaeuschen_im_gartenringdorf.html – da hat die Idee mit „Gartenringdorf“ auch schon einen Namen…):
Für hohe Bodenfruchtbarkeit und Ertrag sind Bäume und Tiere sehr hilfreich. Gerade Bäume können mit wenig Aufwand große Nahrungsmenge erzeugen (siehe Russel Schmith), Maronenmehl ist dem Getreide weit überlegen. Wenn man dann statt Getreide anzubauen deutlich mehr Gemüse hat, gibt es auch mehr und hochwertigeren Flächenertrag. Ich selber habe 15 Jahre vegetarisch gelebt, davon einige Jahre eher fanatisch, was für mich sozial und vom Essen richtig schlecht war. Fleisch und andere Produkte von Tieren die ein gutes Leben haben finde ich selber in Ordnung, dadurch gibte es auch viele Tierlebensmöglichkeiten. Allan Savory hat gezeigt, wie man mit Herdentieren Boden massiv verbessern kann und er hat aus meiner Sicht recht (Joel Salatin ist ein weiteres prominentes Beispiel). Ertragreichen Gemüsebau in Kanada zeigt Jean-Martin Fortier, etwa 50 Leute pro Arbeitskraft mit 9/12 Monaten im Jahr. Ohne Baumnahrung, ohne Pommeresche etc.
Der Hausbau-Preis ist natürlilch auch erstmal provokant gemeint, aber nicht unmöglich. Vollholzbau mit der ganzen Wertschöpfungskette (Baum-zu-Bauholz) im Dorf kann da eine Menge erreichen, gleiches gilt für Lehm-Stroh-Ziegel. Strohballenbau ist nach Conradi in Lübeck suboptimal. Meine wesentliche Idee ist es, mit sehr kleinen Einheiten Modular anzufangen (5×5 oder 6×6), diese Größe geht gut mit dickem Vollholz. Weitere Gedanken dazu sind bei Erwin Thoma zu finden, allerdings bieten die das großartige Holz100 System aber sehr teuer an. Im Baubereich wird mit ca 1.000 € pro m² gerechnet, ich denke ja nicht an ein Norm-Passivhaus mit Zwangslüftung, sodern in der Funktion.
Es gibt wirklich viele tolle Möglichkeiten, die aber oft erst dann gehen, wenn eine Genossenschaft mit 200 Leuten auf 100ha anfangen kann. Was noch zu beweisen ist, und das wird das spannende. Die Diskussion mit Dir geht da doch schon in die richtige Richtung…
Ok, und was jetzt? Hier der begeisterte Professor und da der Gemeinschaftsbewohner, der, obwohl immer noch überdurchschnittlich von Gemeinschaftstheorie begeistert, vor allem sieht, wie überschaubar die Menge an Energie und Engagement nach zehn Jahren Dorfexperiment geworden ist. Und weder die Literatur noch die Studierzeit hat, um die genannten Quellen zu prüfen?
Wie geht das jetzt zusammen???